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Andrea Wanner, Geschäftsführerin bei Viva Luzern AG

Unsere Bewohnerinnen und Bewohner wünschen sich eine hohe Lebensqualität bis zum Tod und einen würdevollen, selbstbestimmten Weg bis dahin. Im Fall des Coronavirus sind grösstmögliche Freiheit und absoluter Gesundheitsschutz aber leider nicht gleichzeitig zu haben. Ein ethischer Balanceakt.

Seit Frühling 2020 stehen die Pflegeinstitutionen im Zuge der Pandemie im Zentrum des öffentlichen Interesses. Nicht zuletzt, da die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass bisher über die Hälfte aller Schweizer Corona-Toten in Alters- und Pflegeheimen lebte. Ein Umstand, der uns betroffen macht, zumal hinter jeder Zahl ein Mensch – und damit auch eine trauernde Familie – sowie ein Pflegepersonal steht, das sich mit riesigem Engagement um die Bewohnenden kümmert. Jeder einzelne Todesfall geht uns nahe. Und das war schon immer so. Nur werden wir heute über die Medien fast täglich mit entsprechenden Statistiken oder Kurven konfrontiert und wir lesen Schlagzeilen wie «Todesfalle Altersheim». Dabei wird ausser Acht gelassen, dass der Umzug in eine Pflegeinstitution heute so lange wie möglich hinausgezögert wird und sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Alters- und Pflegeheimen gleichzeitig laufend reduziert. Die oft reisserische Berichterstattung legt offen, dass ein vertiefter, gesellschaftlicher Diskurs fehlt; Sterben ist noch immer ein Tabuthema. Doch Leben und Sterben gehören zusammen – gerade im Alters- und Pflegeheim.

Bewusst leben und bewusst sterben. Die Fortschritte in der Medizin und der Jugendkult in unserer Gesellschaft führen dazu, dass sich die meisten Menschen jünger fühlen, als sie biologisch alt sind. Es gilt, bewusst zu leben, seinen Körper zu pflegen und der Vergänglichkeit – wo immer möglich – entgegenzuwirken. Die Beschäftigung mit dem eigenen Lebensende und dem Tod bleiben dabei meist auf der Strecke.

«Die oft reisserische Berichterstattung legt offen, dass ein vertiefter, gesellschaftlicher Diskurs fehlt; Sterben ist noch immer ein Tabuthema. Doch Leben und Sterben gehören zusammen – gerade im Alters- und Pflegeheim.» Andrea Wanner, Geschäftsführerin Viva Luzern.

Es scheint fast so, als würde das Coronavirus der Gesellschaft vor Augen führen, dass im hohen Alter gestorben wird. Neben dem «bewusst leben» sollte es aber auch ein «bewusst sterben» geben. Das heisst: Ein hochbetagter Mensch am Lebensende darf sterben. Ich weiss aus eigener Erfahrung mit meinen Eltern, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod sowie dem Sterbeprozess schmerzhaft sein kann. Doch damit die letzte Lebensphase würdevoll möglich ist, müssen wir als Angehörige, Pflegende und Bewohnende vom Ende her denken – denn wir sind es, die den Weg bis dorthin gemeinsam gestalten. Dazu gehört auch das Nachdenken über die «letzten Fragen». Neben Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung helfen uns vor allem vertrauensvolle Gespräche und Denkanstösse dabei, die persönlichen Wünsche zu erkunden und zu respektieren. Ich ermutige Sie also, sich selbst Fragen zu stellen und Gewissheit zu finden: Wie will ich bestattet werden? Soll eine Trauerfeier stattfinden und was soll an dieser geschehen? Oder auch: Will ich, dass meine Kinder über Jahre hinaus mein Grab pflegen?

Selbstbestimmt bis zum Tod

Es geht aber nicht nur um das eigentliche Lebensende, sondern vor allem darum, wie man dorthin kommt. Bei der Coronapandemie heisst es stets: Der oberste Schutz gilt der Gesundheit der Bevölkerung und insbesondere der Gesundheit der Risikogruppen. Aber um welche Gesundheit geht es? Die körperliche, die seelische oder die soziale? Gesundheit ist nur in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise zu erfassen. Gerade für hochbetagte, vulnerable Menschen ist dies entscheidend für ihre Lebensqualität. Sie sind auf eine individuelle, psychosoziale, spirituelle und physische Begleitung, Betreuung und Pflege angewiesen. Denn neben körperlichen gibt es immer auch seelische Nöte. Jedes Corona-Opfer ist eines zu viel. Aber wenn die Menschen seelisch zusammenbrechen und erkranken, weil ihnen wichtige soziale Kontakte fehlen, müssen wir das ebenfalls sehr ernst nehmen. Während eine Mehrheit die Isolation erträgt und die umfassenden Schutzmassnahmen über sich ergehen lässt, leiden einige so sehr unter der Einsamkeit und der Ohnmacht, dass sie ihren Lebensmut verlieren. Dies kann auch dazu führen, dass sie Essen und Trinken verweigern – als «stillen Protest» oder als Rückeroberung der Selbstbestimmung; eine letzte Freiheit.

Ethisches Dilemma

Cicely Saunders, Begründerin der modernen Hospizbewegung, sagte einst: «Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.» Tatsächlich fragen sich viele Bewohnende, warum man einfach über ihre Köpfe hinweg Schutzmassnahmen anordnet und sie nicht selbstverantwortlich entscheiden lässt, ob sie Besuch empfangen bzw. wie viel Risiko sie eingehen möchten. Die Frage zeigt ein ethisches Dilemma auf, das wir nicht erst seit dieser Pandemie kennen. Schutz und Sicherheit auf der einen Seite sowie Freiheit und Selbstbestimmung auf der anderen.

«Doch damit die letzte Lebensphase würdevoll möglich ist, müssen wir als Angehörige, Pflegende und Bewohnende vom Ende her denken – denn wir sind es, die den Weg bis dorthin gemeinsam gestalten. Dazu gehört auch das Nachdenken über die letzten Fragen.» Andrea Wanner, Geschäftsführerin Viva Luzern.

Die beiden Bedürfnisse sind menschlich und nachvollziehbar. Als Sichtweisen dürfen sie aber nicht gegeneinander ausgespielt werden oder in einer Schwarz-Weiss-Dynamik enden. Tatsache ist: Mehr Freiheit bedeutet weniger Sicherheit, und mehr Sicherheit bedeutet weniger Freiheit. Beides auf einmal ist nicht im gleichen Mass zu haben. Die Haltung jedoch, der Schutz von Älteren und Betagten lohne sich nicht, ist unmenschlich und nimmt ihnen ihre Würde. Entsprechend braucht es immer ein ausgewogenes Verhältnis von Sicherheit und Freiheit – auch in den Schutzkonzepten. Denn egal, wie lange ein hochbetagter Mensch noch zu leben hat: Jeder einzelne Tag soll lebenswert sein.

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Sind Sie in der Alters- und Pflegeheimbranche tätig? Haben auch Sie Erfahrungen gemacht oder Erlebnisse aus Ihrem Alltag – sei es positiver oder negativer Art – die unbedingt publik gemacht werden sollten? Dann bereichern Sie diesen Blog und schicken Sie Ihre Geschichte an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!!


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