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Das letzte Jahr hat wie so viele auch unsere Branche stark gefordert. Immer wieder gab es für die Institutionen der Langzeitpflege grosse Herausforderungen zu meistern – insbesondere während der zweiten Welle. Wir als Branchenverband setzen uns seit Pandemiebeginn bei Politik und Behörden dafür ein, dass – wo nötig – Rahmenbedingungen angepasst werden, um die Situation für die Heimleitungen, die Mitarbeitenden aber insbesondere auch für die Bewohnenden zu verbessern. Um welche Punkte es dabei genau geht oder ging, fasst die Artikel-Serie der Tamedia-Zeitungen, welche vom 6. April bis 8. April 2021 erschien, gut zusammen. Wir nutzen die Gelegenheit, die Erkenntnisse darin, welche auf einer Umfrage bei den Institutionen und persönlichen Gesprächen beruhen, hier zusammenzufassen, um so das letzte Jahr nochmals Revue passieren zu lassen und den Finger auf die wunden Punkte zu legen.

Zu wenig Unterstützung von Politik und Behörden

Die Recherche von Tamedia macht deutlich, dass sich viele Heimleitungen von Verwaltung und Politik im Stich gelassen fühlten. 42 Prozent der Befragten gaben bei der Umfrage an, dass sie von den Behörden gar nicht oder zu wenig unterstützt worden seien. Dabei wurden insbesondere folgende Faktoren genannt, die belastend waren und sind:

  • widersprüchliche Verordnungen mit viel zu kurzen Fristen;
  • fehlende Schutzausrüstungen zu Beginn der Pandemie;
  • keine Übernahme von zusätzlichen Kosten;
  • Nationaler Entscheid, den Assistenzeinsatz der Armee in der zweiten Welle auf die Spitäler zu begrenzen – die Langzeitinstitutionen erhielten keine Unterstützung;
  • Mangelhafte Teststrategie des Bundes zur Erkennung von asymptomatischen Fällen und erst sehr späte Zusicherung, dass die Kosten für Massentests in Alters- und Pflegeheimen übernommen werden;
  • Behördliche Anweisungen, die schwer oder gar nicht umsetzbar waren.

Die Heimleiterinnen und Heimleiter stört es gemäss den Zeitungsberichten zudem, dass die Verwaltung versuchte, die gesamte Verantwortung auf sie abzuschieben und beklagen «es habe keine Rückendeckung gegeben.»

Personal am Anschlag

Aufgrund von Covid-Erkrankungen und Quarantäne war das Personal der Heime stark reduziert – insbesondere in der zweiten Welle. Vier von zehn Institutionen waren da gemäss der Umfrage personell unterbesetzt. Im Frühjahr steckten sich erst vereinzelt Angestellte an, im Herbst und Winter jedoch infizierte sich in jedem vierten Heim mindestens 20 Prozent der Belegschaft. Diejenigen Mitarbeitenden, die noch gesund waren und arbeiteten gelangten schnell an die Grenzen der psychischen und physischen Belastbarkeit. Der Einsatz der Armee zur Entlastung wäre deshalb dringend nötig gewesen. «In einzelnen Altersheimen fielen während der Pandemie bis zu 80 Prozent der Angestellten aus. Viele leiden bis heute.», schreibt die Berner Zeitung in ihrem Bericht am 8. April. Bei der Umfrage gaben deshalb fast 50 Altersheime an, dass mittlerweile Angestellte gekündigt hätten aufgrund des Erlebten. Es sei aus der Krise heraus aber auch ein neues Gefühl des Miteinanders entstanden.

Grosse Belastung für die Bewohnenden

Um die Bewohnerinnen und Bewohner als besonders vulnerable Gruppe zu schützen, wurden gerade in der ersten Welle, die Institutionen regelrecht abgeriegelt. In der Berichterstattung wird die Frage gestellt: «Wer hat die Betagten eigentlich gefragt, ob sie vor Corona derart beschützt werden wollen?» Gemäss den Recherchen würden viele Betroffene sagen: «Lieber möchten sie sterben, als in einer Zelle zu leben.» Es überrascht deshalb nicht, dass fast zwei Drittel der Heime in der Umfrage angeben, dass «die psychischen Folgen für die Bewohnerinnen und Bewohner gross oder eher gross waren. Nachdem sie von der Aussenwelt abgeschnitten worden seien, habe man bei vielen Seniorinnen und Senioren eine tiefe Traurigkeit beobachtet. Manche verstummten einfach, viele brauchten mehr Medikamente, um gegen psychosomatische Störungen, Depressionen oder Suizidgedanken anzukämpfen. Besonders rasant verschlechterte sich der Zustand von Demenzkranken.» Es sei bei vielen Heimleitungen die Frage im Raum gestanden: «Wie viel Lebensqualität soll geopfert werden, um dem Tod zu entgehen?» Oder anders gesagt: «Wie sollten die Anordnungen der Behörden befolgt und gleichzeitig die Grundrechte der Bewohnenden respektiert werden.» Fast zwei Drittel gaben an, in diesem Dilemma gewesen zu sein. Gemäss den Berichten sagen heute viele, dass der Preis für die Sicherheit hoch gewesen sei. Das Leiden vieler alter Leute sei kaum zu rechtfertigen. Auch deshalb ist wenig Verständnis da, dass geimpfte Bewohnende teilweise immer noch stark eingeschränkt werden. Gleichzeitig sei immer noch eine grosse Vorsicht da, weil es auch heute noch weitreichende Folgen habe, wenn das Virus in ein Altersheim gelangt.

Unfaire Behandlung durch die Medien

Die Umfrage zeigt ebenfalls: Statt Anerkennung für ihre schweren Aufgaben in einer extrem schwierigen Situation schlug den Pflegenden oft Unverständnis und Missmut entgegen und auch von den Medien vermissen viele Heimleiterinnen und Heimleiter Verständnis für ihre schwierige Lage. Zu Beginn der Krise habe es Berichte über den selbstlosen Einsatz des Pflegepersonals gegeben. In der zweiten Welle war die Berichterstattung eher negativ. Der dadurch entstandene Imageschaden habe nun konkrete finanzielle Auswirkungen. «Nach den Todesfällen durch die zweite Corona-Welle haben viele Heime leere Zimmer. Neue Anmeldungen gibt es nur spärlich.», wird in der Berichterstattung aufgezeigt.

Berichte würdigen im Fazit grossen Einsatz der Heime

Die Journalistinnen und Journalisten von Tamedia zeigen im Rahmen der Serie Covid-Altersheimreport auf, dass die Heime bei der Corona-Krise gleich mehrfach gestraft sind: Einerseits haben sie die härtesten Massnahmen und die meisten Todesfälle zu beklagen. Andererseits habe gleichzeitig wohl niemand in der Schweiz so viel gemacht, um die Spitäler zu entlasten. 101 Heime haben in der Umfrage angegeben, bei ihnen seien keine Covid-Erkrankten im Spital behandelt worden, bei 214 waren es weniger als zehn Prozent der Infizierten. Die Betagten entlasteten mit ihrem Entscheid, im Heim zu bleiben, nicht zuletzt die Ärztinnen und Ärzte auf den Intensivstationen. Wären alle Erkrankten aus den Heimen im Spital vorstellig geworden, hätte sich eine Triage nicht mehr verhindern lassen. Es hätte als entschieden werden müssen, wem noch geholfen wird – und wem nicht.

Insbesondere dieser letzte Aspekt wurde bisher in der breiten Öffentlichkeit selten thematisiert. Mit ihrer grossen Arbeit und den spannenden Artikeln hat Tamedia einen grossen Beitrag geleistet für mehr Verständnis und Wertschätzung für die Branche der Langzeitpflege. Wir freuen uns, wenn weitere Medienschaffende dem Beispiel folgen.

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Tamedia publiziert Resultate einer grossen Umfrage zu den Auswirkungen des ersten Corona-Jahres auf die Alters- und Pflegeheime

Das Recherchedesk von Tamedia kontaktierte rund 1'400 Alters- und Pflegeheime mit der Bitte an einer breit angelegten Studie mitzumachen. Mehr als ein Viertel davon haben die über 40 Fragen beantwortet und mit zahlreichen haben die Mitarbeitenden von Tamedia persönlich gesprochen, einige Heime haben sie gar persönlich besucht. Entstanden ist eine mehrteilige Serie, die aufzeigt, wie die Heimleitungen, Bewohnende und Mitarbeitende dieses Jahr erlebt haben, aber auch welche Erfahrungen die Institutionen mit den Behörden gemacht haben.

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