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Für im Heim lebende Menschen mit Demenz und deren Angehörige brauchen wir gute Strukturen und Begleitung, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Die HES-SO Fribourg entwickelt geeignete Instrumente und setzt Fachpersonen mit Doppelprofil in der person-zentrierten Praxisentwicklung ein.


Andrea Koppitz, Advanced Nurse Practitioner, Professorin, Dr. rer. medic., Pflegefachfrau
Stephanie Kipfer, Doktorandin Universität Lausanne, MScN, Pflegefachfrau
Frank Spichiger, Doktorand Universität Lausanne, MScN, Pflegefachmann

Frau Grün lebt mit Alzheimer Demenz in einem Heim im Mittelland. Wir wissen im Pflegeteam, was sie gerne isst, was ihr früher wichtig war, dass sie am Morgen gerne länger schläft und sie das Duschen eigentlich geniessen kann. Eigentlich heisst, dass wir es im Pflegeteam nicht immer schaffen, dass Frau Grün das Duschen geniessen kann. Es kommt vor, dass Frau Grün uns schlägt. Sie kann auch schimpfen und spucken. Für manche in unserem Pflegeteam ist es leichter, mit Frau Grün in Kontakt zu kommen und andere haben es ganz schwer. Wir tauschen uns sowohl im Pflegeteam als auch im interdisziplinären Rapport mindestens 14tägig über das Verhalten von Frau Grün aus. Wir legen im Team die Massnahmen fest, mit denen wir gute Erfahrungen gesammelt haben. Durch die gerontopsychiatrischen Visiten lernen wir auch die Hilflosigkeit von Ärzt:innen kennen. Wir schämen uns nicht mehr über und in Situationen, in denen wir nicht mehr weiterwissen. Wir geben unsere Hilflosigkeit zu.

Wir lernen im Team, wie wir mit Verhalten von Menschen mit für uns komischen Verhalten umgehen. Unser Kader, Fach- und Führungspersonen, lernen anders zu führen und sind Vorbilder, von denen wir lernen können.

Als Team lernen wir mit einer gemeinsamen Sprache zu sprechen. Basis dieser Sprache sind Instrumente wie der «CH-IPOS-Dem im Heim». Das ist ein sogenannter patient-reported outcome measure für Menschen mit Demenz im Heim, der die Lebensqualität durch die Schwere der Symptombelastung misst. Es gibt eine frei verfügbare Version für Mitarbeiter:innen und eine Version für Angehörige, je auf Deutsch, siehe: Palliative care Outcome Scale (POS) - Integrated POS (IPOS) for Dementia and Translations (pos-pal.org). Abbildung 1 zeigt einen Auszug aus dem CH IPOS-Dem fürs Heim.

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Abbildung 1: CH IPOS-Dem für Heime, Version Mitarbeiter:innen


Der CH-IPOS-Dem im Heim verleiht dem Belastungserleben von Menschen mit Demenz ein Gesicht. Das Instrument ermöglicht uns als Pflegende und als Angehörige differenzierter sprachlich auszudrücken. Der CH-IPOS-Dem im Heim bietet uns darüber hinaus in unseren Pflegeteams die Möglichkeit, schneller Veränderungen zu erkennen und damit früher zu Handlungen einzuleiten und umzusetzen.

Grundsätzlich ist die Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz und deren Angehörige im Heim oftmals eine grosse Herausforderung für alle Beteiligten. Es gibt wenig bis wenig, «harte Fakten», die bei Menschen mit Demenz die Wirksamkeit von Massnahmen im konkreten Heimalltag bei einer Vielzahl von Menschen bisher belegt hat.

Das macht es uns in der Pflege schwierig, ausreichend Zeit für die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz einzufordern. Die derzeit in der Praxis umgesetzten Qualitätsindikatoren, bewegungseinschränkende Massnahmen (zwei Qualitätsindikatoren), Mangelernährung, Polymedikation und Schmerzen (zwei Qualitätsindikatoren), sind gute Parameter zum Prüfen von somatischer Pflegequalität. Für die psychosoziale Betreuungs- und Pflegequalität sind sie nur eingeschränkt verwendbar. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass wir bei Menschen mit Demenz grössenteils nicht wissen, was – wann – wie wirkt.

Egal wie die Methoden und Anwendungen zum Sichern und Weiterentwickeln für psychosoziale Betreuungs- und Pflegequalität heissen z. B. Validation, Musik-, Kunst-, Erinnerungstherapie, Snoezelen oder Kinaesthetics - wir haben nur eingeschränkte Belege für und in der direkten Pflege bei Menschen mit Demenz. In vielen Einzelfällen berichten wir Pflegende immer wieder von guten Erfolgen. Das ist wichtig und richtig, sowohl für den Menschen mit Demenz, den es gerade betrifft, als auch für die Angehörigen und uns in den Pflegeteams.

Allen Methoden und Anwendungen gemeinsam ist, dass sie unsere Wahrnehmung schärfen und das Verstehen von Menschen mit Demenz fördern. Die Methoden sichern und fördern zudem den direkten Kontakt mit dem Menschen mit Demenz und entfalten über Beziehung zum Menschen mit Demenz das Vertrauen. Vertrauen, das entsteht über ein echtes Interesse am Menschen mit Demenz. Es ist von Wertschätzung und Zuverlässigkeit geprägt. Nicht zu vergessen ist das aufmerksame Wahrnehmen von dem, was in einer aktuellen Situation als wichtig erachtet wird.

Das Begleiten von Menschen mit Demenz im Heim ist eine Teamleistung. Mag ich als Einzelperson noch so qualifiziert sein und viel Praxiserfahrung mitbringen. Ich bin keine 24 Stunden verfügbar und kann auch nicht sieben Tage in der Woche arbeiten. Es braucht meine Teamkolleg:innen. Nur wenn wir für Teamabsprachen sorgen und wir für deren Einhaltung ringen wird es uns gelingen, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu sichern.

Am Ende ist eines wichtig - die Teamleistung.

Die Leistungen von Pflegeteams, die sich täglich und über 24 Stunden mit unterschiedlichen Verhaltensweisen der Menschen mit Demenz auseinandersetzen, wird derzeit weder mit einem Qualitätsindikator gemessen noch ausreichend gewürdigt und gefördert. Doch tragen die Leistungsbereitschaft und Innovationskraft eines Teams wesentlich zur Lebensqualität von Menschen mit Demenz im Heim bei. Gerade weil wir in der Pflege nicht wissen, was genau wie wirkt, kommt es auf die Sensibilität in Teams an. Die Qualität des zwischenmenschlichen Kontakts im Team, der Informationsfluss und die Möglichkeit auf Entscheidung der Kaderpersonen Einfluss zu nehmen, gibt dem Team Sicherheit, sogenannte «partizipative Sicherheit», die sich auf deren Arbeitsqualität auswirkt. Auch hier gibt es ein gutes Instrument, das wir bisher in der Pflege und in Heimen nicht anwenden: Den Team Klima Inventar.

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Wir wissen von guten Beispielen aus Spitälern, wie gut sich Teams mit person-zentrierter Praxisentwicklung weiterentwickeln. Mit person-zentrierter Praxisentwicklung wird Leistungsbereitschaft und Innovationskraft in Teams gesichert und gefördert. Durch aktives Zuhören, das Stellen von befähigenden Fragen, Feedback geben und entgegennehmen und Unterstützung, unter anderem direkt «am Bett» werden Teams gefördert.

Das Team der Langzeitpflege an der HES-SO Fribourg, www.Lore-care, bietet Hand, um person-zentrierte Praxisentwicklung in Heimen in der Schweiz weiter voranzutreiben.

  • Die Lebensqualität der Menschen mit Demenz und der Pflegeteams kann nur durch ausreichend gute Arbeitsqualität eine Verbesserung erfahren.
  • Heime, die sich für die praxisorientierte Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam interessieren, deren Mitglieder alle auch noch praktisch arbeiten, sind eingeladen, den Kontakt zu suchen.
  • Mit dem Projekt PAPA, Praxis-Akademie Partnerschaft, wurde die Struktur zur Zusammenarbeit mit Pflegeexpert:innen, «APN Advanced Pracitce Nurses», geschaffen.
  • Mit dem Projekt ERNA, person-zentrierte Begleitung von Menschen mit Demenz und deren Angehörige, besteht die Möglichkeit Pflegeteams weiterzubilden und die Leistungsbereitschaft zu fördern.


HES-SO Fribourg
Institut für angewandte Gesundheitsforschung
Long-Term Care Team

Prof. Dr. Andrea Koppitz, Phd cand. Stephanie Kipfer & PhD cand. Frank Spichiger

Route des Arsenaux 16a
1700 Fribourg
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www.lore-care.ch

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